Open Access full-fledged
Von frei zugänglichen Forschungsergebnissen profitieren nicht nur Forschende, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Doch Open Access bringt auch unbeabsichtigte Folgen mit sich. Das zeigte eine Podiumsdiskussion der ETH-Bibliothek in Kooperation mit PLOS und RSC von vergangener Woche. So werden Forschende und Institutionen, denen das Geld fehlt – zum Beispiel solche in Entwicklungsländern – benachteiligt. Ausserdem gibt es einen ungewollten Profiteur des Systemwandels: die Industrie. Beteiligten sich private Unternehmen früher mittels Abo-Gebühren massgeblich an den Kosten wissenschaftlicher Publikationen, verschwindet dieser Anteil mit Open Access zunehmend. Denn neu tragen nicht mehr Leserinnen und Leser, sondern Autorinnen und Autoren, Forschungsinstitutionen sowie Forschungsförderer die finanzielle Hauptlast. Am Podium wurden zwar keine Lösungen für diese Probleme präsentiert – zumindest aber wurde der in der Open-Access-Debatte vernachlässigte Aspekt der Rolle der Industrie mit Vertretenden von Pharmafirmen konstruktiv diskutiert und all jene relevanten Fragen aufgeworfen, die bei aller Euphorie über Open Access nicht vergessen gehen sollten: Wie könnte eine „Mixed Economy“ aussehen, in der sowohl der Staat als auch private Firmen wissenschaftliche Publikationen finanzieren? Ist die Unabhängigkeit der Forschung gefährdet, wenn sie durch die Industrie finanziert wird? Und gibt es Wege, wie Unternehmen die Wissenschaft finanzieren können, ohne in Verdacht zu geraten, ihre eigenen ökonomischen Interessen über jene der Gesellschaft zu stellen?
Open Access full-fledged: future roles of the stakeholders – 24. Oktober 2019, 9.30 - 11.30 Uhr
Interessensvertretende des wissenschaftlichen Publizierens diskutieren am 24.10.2019 über die Rolle der forschenden Industrie nach der Open-Access-Transformation.
Die ETH-Bibliothek organisiert die Podiumsdiskussion in Kooperation mit der PLOS und der Royal Society of Chemistry (RSC). Sie ist öffentlich und richtet sich an Forschende, Alumni, Mitarbeitende in der forschenden Industrie, Verlagen und Bibliotheken sowie weitere interessierte Personen.
Programm für Donnerstag, 24. Oktober 2019
Veranstaltungsort
ETH Zürich
LEE, Raum E 101
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Input-Referat – Abstract
Da der Übergang zum Open-Access-Publizieren und darüber hinaus zu einer völlig offenen Forschungskultur rasch voranschreit, müssen wir die Rolle jedes einzelnen Teilnehmers im Ecosystem des freien Zugangs zu Forschungs- und Entdeckungsergebnissen überdenken.
Bis vor kurzem wurde der Übergang zu Open Access weitgehend mit dem Übergang von «Pay to read» zu «Pay to publish» gleichgesetzt, wobei die Kosten für den freien Zugang zur Forschung durch Article Publishing Charges (APCs) gedeckt sind. Dieses Open-Access-Modell nach dem Prinzip «Autor/Funder pays» hat viele Vorteile bei der Verbesserung des Zugangs zu Forschungsergebnissen mit sich gebracht, zieht jedoch auch eine Reihe unbeabsichtigter Folgen nach sich. Hierzu gehören:
- steigende Kosten für Förderer und forschungsintensive Einrichtungen;
- potenzielle Barrieren bei der Teilnahme an der frei zugänglichen Forschung für diejenigen, die über begrenzte finanzielle Mittel für Publikationen verfügen – insbesondere für Nachwuchsforscher und Forscher in Entwicklungsländern;
- geringere Beteiligung der Industrie an Veröffentlichungskosten, da Forschende in der Industrie mehr lesen als veröffentlichen.
Da der Bedarf an vielfältigen Ansätzen zu Open Access wächst, halten wir es für den richtigen Zeitpunkt, die Beteiligung von Unternehmen, wie beispielsweise Pharmaunternehmen, an den Kosten für den freien Zugang zur Forschung zu diskutieren. In Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie möchten wir uns ein Bild von den Chancen und Herausforderungen machen, die sich aus der Sicherung des industriellen Engagements für eine offene Forschungszukunft ergeben.
Curriculum Vitae der Podiumsteilnehmenden
Rafael Ball ist seit dem 01.März 2015 Direktor der ETH-Bibliothek. Er ist promovierter Biologe und Wissenschaftshistoriker und studierte Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Moskau. Er absolvierte von 1994 bis 1996 eine postgraduale Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekar. Von 1996 bis 1998 war er Leiter der Benutzerservices in der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, seit 1998 leitete der die Zentralbibliothek. Von 2008 bis 2015 war Rafael Ball Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen, engagierter Redner und Lehrbeauftragter an einschlägigen Hochschulen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Bibliothek der Zukunft, Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter und das Schicksal des gedruckten Buches.
Sven Fund ist Geschäftsführer von externe Seite Knowledge Unlatched und Gründer von externe Seite fullstopp, der digitalen Beratungsagentur für Verlage, Bibliotheken und Dienstleister. Er hat einen Abschluss in Europastudien der Washington University in St. Louis und hat an der Universität Münster in Politikwissenschaft promoviert.
Von 2008 bis 2015 war Sven Fund CEO von De Gruyter mit Sitz in Berlin. Davor arbeitete er bei der aktuell unter SpringerNature firmierenden Verlagsgruppe in verschiedenen Funktionen, von der Geschäftsführung bis zum Vorstand. Er ist Dozent an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Robert Finger ist Professor für Agrarökonomie und -politik an der ETH Zürich. Die Agricultural Economics and Policy Group ist Mitglied zweier Fachbereiche der ETH Zürich: i) des Departements Management, Technologie und Ökonomie sowie ii) des Departements für Umweltsystemwissenschaften.
Robert Finger ist diplomierter Wirtschaftswissenschaftler und hat 2009 an der ETH Zürich in Agrarökonomie promoviert. Bevor er 2016 an der ETH Zürich zum ausserordentlichen Professor ernannt wurde, war er Assistenzprofessor an der Universität Wageningen (Niederlande) und Professor der Produktionsökonomik-Gruppe (Production Economics Group) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Die Forschung von Robert Finger und seinem Team bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Agrarwissenschaften und Wirtschaft. Forschungsschwerpunkte sind i) Risiken, Risikomanagement und Versicherungslösungen in der Agrarwirtschaft, ii) Evaluierung und Erarbeitung von Agrarrichtlinien mit besonderem Schwerpunkt auf Ökonomik und Richtlinien für landwirtschaftliche Schadstoffe, iii) Klimawandel und Klimarisiken in der Landwirtschaft und iv) Umsetzung und Verbreitung neuer Technologien.
Sybille Geisenheyner ist in ihrer Funktion als Vertriebsleiterin der Royal Society of Chemistry (RSC) für Europa, Nahost, Afrika und Indien zuständig. Während ihrer zwanzigjährigen Tätigkeit in der Branche hat sie für Unternehmen wie SilverPlatter, Walter de Gruyter, Thomson Reuters und WoltersKluwer gearbeitet. Sie beteiligt sich weltweit an Open-Access-Diskussionen mit Stakeholdern und nahm an der Verhandlung der RSC mit dem MIT Boston über den ersten Read & Publish-Deal ausserhalb Europas teil. Sybille Geisenheyner ist darüber hinaus Mitglied der Open-Access-Strategiegruppe der RSC.
Niamh O‘Connor hat in Chemie promoviert und leitet den Bereich Global Journals Development der PLOS. Dort fallen die ausgewählten und Community-fokussierten PLOS-Fachzeitschriften sowie die Entwicklung neuer Möglichkeiten des freien Zugangs zu und Entdeckens von Forschungsergebnissen für die globale Wissenschafts- und akademische Gemeinschaft in ihren Verantwortungsbereich. Zuvor leitete sie als Director of Publishing bei der Biochemical Society/Portland Press die Entwicklung einer Strategie zur Erweiterung des Engagements und zur Unterstützung der Community der molekularen Biowissenschaften beim Übergang zu einer Open-Science-Kultur. Bevor sie zur Biochemical Society kam, arbeitete sie neun Jahre an der Royal Society of Chemistry in verschiedenen Verlagsfunktionen, darunter als Verlegerin und Herausgeberin. Gemeinsam mit den Redaktionsleitungen entwickelte sie dort Strategien für Fachzeitschriften zur Erfüllung der sich verändernden Bedürfnisse der globalen Science Community und wirkte an deren Umsetzung mit.
Tobias Philipp studierte Soziologie mit Schwerpunkt empirische Methoden der Sozialforschung in Bamberg, Deutschland. Seit 2011 war er als Assistent am Soziologischen Seminar der Universität Luzern in der Methodenausbildung tätig. Dort promovierte er mit einer Dissertation zur Theorie und Anwendung von Netzwerkanalysen im Wissenschaftssystem. Seit 2017 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Schweizerischen Nationalfonds tätig und koordiniert dort u.a. das Open-Access-Dossier.
Disclaimer
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