Gustav Gull (1858–1942)
Professor für Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum
Gustav Gull wurde am 7. Dezember 1858 als Sohn des Baumeisters Rudolf Gottlieb Gull und Anna Gull (geborene Fries) in Altstetten ZH geboren. Unmittelbar nach der Matura trat Gustav Gull im Oktober 1876 als Student in die Bauschule des Eidgenössischen Polytechnikums (ETH Zürich) ein. Dort wurde er besonders von Professor Julius Stadler gefördert.
Weiterbildung an der Ecole des Arts Décoratif und Praktikum
Nach Abschluss der Bauschule im Herbst 1879 setzte Gull seine Ausbildung in der französischen Schweiz fort. Er belegte während eines Semesters Kurse an der Genfer Ecole des Arts Décoratifs und absolvierte anschliessend ein Praktikum im Büro des Architekten Benjamin Recordon, der zu dieser Zeit den Bau des Bundesgerichts in Lausanne realisierte.
Abschluss der Ausbildung und Bau des Schweizerischen Landesmuseum
Mit der traditionellen Studienreise durch Italien (1883/84) rundete Gustav Gull seine Ausbildung zum Architekten ab.
Kurz nach seiner Rückkehr in die Schweiz heiratete Gull 1885 Lydia Anna Limbacher. Im selben Jahr gewann er die öffentliche Ausschreibung für den Bau des Eidgenössischen Postgebäudes in Luzern. Seinen grossen Durchbruch als Architekt schaffte er aber 1890 mit seinem Projekt für den Bau des Schweizerischen Landesmuseums, das er als Bauleiter zwischen 1892 und 1898 realisieren konnte. Die Ausführung dieses Prestigebaus von nationaler Bedeutung legte den Grundstein für eine dauerhafte Verbindung zwischen der Stadt Zürich und Gull als einem ihrer einflussreichsten Architekten.
Anstellung am Eidgenössischen Polytechnikum
Zwar stand er nur zwischen 1895 und 1900 als Leiter des neu geschaffenen Hochbauamtes II unmittelbar in städtischen Diensten. Aber auch nach seiner Berufung als Architekturprofessor an das Polytechnikum im Jahr 1900 übte er einen grossen Einfluss auf die architektonische Entwicklung der Stadt Zürich aus. In seinen Anstellungsbedingungen für die Professur wurde Gull sogar explizit dazu berechtigt, «ausserhalb der Schule als Architekt sich zu betätigen, soweit dies ohne Beeinträchtigung der Erfüllung der Lehrverpflichtungen geschehen kann.» (Präsidialverfügung 284, 10. Mai 1900).
Bauprojekte und Revolutionierung von Zürich
Gull nutzte diesen Freiraum und setzte in Zürich bleibende städtebauliche Akzente. Die alte Fraumünsterabtei wich seinem neuen Stadthaus und mit der Rudolf-Brun-Brücke, den Amtshäusern und der Sternwarte an der Uraniastrasse legte er eine neue Achse quer durch die Stadt. Sein kühnstes Vorhaben aber – ein monumentales Verwaltungszentrum über der Uraniastrasse – konnte Gull allerdings aufgrund der starken Opposition anderer Zürcher Architekten und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht verwirklichen. Gewissermassen als Hausarchitekt realisierte Gull hingegen nach einem Wettbewerb die Erweiterungsbauten der ETH Zürich (1914 bis 1925). Dazu gehörte neben neuen Institutsbauten vor allem der Umbau des Semper'schen Hauptgebäudes. Gull liess den gesamten Ostflügel abbrechen und schuf damit Platz für den markanten Neubau mit Haupthalle, vorgelagerter Rotunde und zentraler Kuppel.
Stellenwert Gulls
Mit seinen repräsentativen öffentlichen Bauten, seiner Professur, die er bis 1929 inne hielt, seiner Rolle als Preisrichter bei Architekturwettbewerben sowie seinen Mitgliedschaften in verschiedenen Kommissionen und Gesellschaften (z.B. Zürcher und Eidgenössische Kunstkommission, Schweizer Heimatschutz) spielte Gustav Gull über Jahrzehnte eine gewichtige Rolle in der Schweizer Architektur und der Zürcher Bau- und Stadtplanungspolitik. Er starb am 10. Juni 1942 im Alter von 83 Jahren in Zürich.
Handschrift
Werke
Die Architektur Gulls ist dem repräsentativen Späthistorismus verpflichtet. Insbesondere mit dem Projekt und der Ausführung des schlossähnlichen Landesmuseums traf Gull mit seinem Stil genau den zeitgenössischen Geschmack. Gull verstand es, die komplexen politischen Vorgaben von 1890 für die Errichtung eines nationalen Museums für das historische Erbe der Schweiz in konkrete Architektur umzusetzen. Durch die Kombination unterschiedlicher heimischer Stilrichtungen sowie den Einbau vorhandener Räume und Gebäudeteile als historische Versatzstücke schuf er einen symbolhaften Neubau im Geiste einer weitgehend konstruierten, gesamteidgenössischen Geschichtsschreibung.
Kuppelbau
Dadurch dass Gull bis in die 1920er Jahre an historisierenden Stilen festhielt, setzte er sich aber zunehmender Kritik aus. Die Formensprache seiner Neu- und Erweiterungsbauten traf auf gänzlich andere Auffassungen moderner Architektur. Nicht zuletzt regte sich gegen seine Eingriffe in den Semperbau des ETH Hauptgebäudes einiger Wiederstand. Besonders die neue Kuppel aus Eisenbeton-Elementen wurde etwa über Einsprachen beim Eidgenössischen Departments des Innern bekämpft. Heute sind Gulls historisierende Bauten selbst Teil des historischen Erbes der Stadt Zürich geworden. Dass die kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk damit jedoch keineswegs abgeschlossen ist, zeigten zuletzt die Diskussionen um die Erweiterung des Landesmuseums.
Bestand
In der ETH-Bibliothek finden sich Gulls eigene Schriften (Erläuterung zu dem Projekt für die Überbauung des Werdmühle- und Oetenbach-Areals, Zürich 1911) sowie Literatur über ihn und sein Werk (Suchportal der ETH-Bibliothek). Eine Auswahl von Fotografien der von Gull vorgenommenen Erweiterungen des ETH Hauptgebäudes kann direkt im E-Pics Bildarchiv Online eingesehen werden. Der Nachlass Gustav Gulls wird vom Archiv gta betreut. Ergänzende Einzelstücke befinden sich in verschiedenen Beständen des Hochschularchivs der ETH Zürich.